Während mehr als vier Jahrzehnten engagierte sich Josef Vogel als Leichtathletiktrainer des STV Willisau. Ein Portrait über einen Mann, der wertvolle Arbeit leistete und unzählige Stunden in den Sport investierte, dabei jedoch stets im Hintergrund blieb.

von Fabienne Grüter / WB-Begegnung

Es sei für ihn kein sonderlich emotionaler Moment gewesen, sagt Josef Vogel. Gemeint ist sein letzter Auftritt als Leichtathletiktrainer, der letzte Moment einer langen Laufbahn. Es war in diesem Herbst, er begleitete eine junge Athletin an die Schweizermeisterschaf ten. Nach dem Wettkampf war nicht nur die diesjährige Saison beendet, sondern auch seine Tätigkeit als Trainer. Er habe seit Beginn des Jahres gewusst, dass dies seine letzte Saison sein wird. «Ich habe nicht mehr die gleiche Power. Mir war klar: Es reicht jetzt.» Für ihn sei es der optimale Zeitpunkt. Jetzt wolle er anderen, jüngeren Leuten das Feld überlassen.

Dies alles erzählt Josef Vogel Ende November, kurz nach seinem 70. Geburtstag, in seinem Wohnzimmer. Mit verschränkten Beinen sitzt er auf dem Sofa, reflektiert seine unzähligen Erlebnisse und Erfahrungen, stets ehrlich und bisweilen durchaus selbstkritisch. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er der Leichtathletik gewidmet, zahlreiche Athletinnen und Athleten bis an die nationale Spitze und darüber hinausbegleitet. Und doch blieb er immer im Hintergrund.

Vom Zehnkämpfer zum Trainer

Aufgewachsen ist Josef Vogel in Schötz, fasziniert hat ihn die Leichtathletik schon immer, insbesondere die Vielseitigkeit daran. Als Kind war er jedoch in keinem Verein aktiv, engagierte sich dafür in der Jungwacht. Später, nach einer Weltreise, zog es ihn nach Willisau, und damit bald auch schon zum Turnverein. Erst als Zehnkämpfer-«ich hatte aber nur bescheidenes Talent» und bald schon als Trainer. Der Wechsel sei mehr ein Zufall als ein bewusster Entscheid gewesen: Damals habe es eine Gruppe junger Burschen gegeben, die gemeinsam trainierte. Für die Mädchen. jedoch gab es kein entsprechendes Angebot. «Als ich mal nebenbei verlauten liess, ich hätte Interesse an der Trainertätigkeit, hiess es schon bald: Dann übernimm du doch die Mädchen», erzählt er.

Josef Vogel absolvierte mehrere Ausbildungen und verfügt über die Trainerlizenz B, die zweithöchste in der Leichtathletik. Er bildete sich stets weiter, sogar im Ausland, war eine Zeit lang regelmässig bei der deutschen Sprint-Nationalmannschaft dabei. Und doch war die Trainertätigkeit für ihn vor allem eines: ein Engagement für die Jugend. «Andere bringen sich in der Pfadi oder in der Jungwacht ein. Ich habe es halt in der Leichtathletik gemacht. Es hat mir aber grundsätzlich immer Freude bereitet, mit Leuten zu arbeiten.»

Grosse Erfolge mit Sara Wüest

Keine zehn Jahre nach Beginn seiner Tätigkeit als Trainer erlebt er bereits ganz grosse Erfolge. Die Nebiker Sprinterin Sara Wüest bringt er zuerst an die nationale Spitze, dann an Europa- und Weltmeisterschaften, etwa an die EM 1994 in Helsinki oder die Hallenweltmeisterschaften 1993 in Toronto und 1995 in Barcelona. «Nur die Olympischen Spiele, die haben wir knapp verpasst», sagt er. Auch mit weiteren Leichtathletinnen und Leichtathleten feierte er grosse Erfolge, etwa mit der dreifachen Schweizermeisterin Stefanie Barmet, dem Mittelstreckenläufer Roland Christen oder der Sprinterin Renate Kohler. Dennoch kommt niemand an Sara Wüest heran. So bezeichnet Josef Vogel diese Zeit auch jetzt, nach seinem Rücktritt, als die erfolgreichste Phase seiner Laufbahn. «Es gibt kein grosses Highlight, das ich herauspicken könnte. Aber diese ganze Entwicklung, die ich mit Sara erlebt habe, dieses Gesamtpaket, das war schon etwas Spezielles.»

«Bei mir waren alle willkommen, unabhängig von ihren bisherigen Leistungen und ihrem Talent.»

Josef Vogel langjähriger Leichtathletiktrainer beim STV Willisau

Ein Merkmal von Josef Vogel als Trainer sei seine direkte und ehrliche Art gewesen, wie von ehemaligen Athletinnen und Athleten zu vernehmen ist. Wenn ihm etwas nicht passt, dann tut er dies kund. Dieser Charakterzug ist auch im Gespräch zu spüren: Josef Vogel ist keiner, der um den heissen Brei herumredet. Er äussert seine Meinung klar. So sagt er etwa, er habe nie Interesse gehabt, beim Verband anzufangen. Er habe zwar Anfragen gehabt. hätte gar die Frauen-Nationalmannschaft der Sprinterinnen übernehmen können. «Aber das hat mich nie interessiert. Verbandsarbeit zieht viel zu viel administrativen Aufwand mit sich. Für mich zählte immer die Arbeit auf der Bahn, die Arbeit mit den Athletinnen und Athleten.»

«Talent alleine reicht nicht»

In seinen über 40 Jahren Tätigkeit sah Josef Vogel viele Athletinnen und Athleten kommen und gehen. Er erzählt von Trainingsweltmeistern, die im Wettkampf nie ihr volles Potenzial ausschöpfen konnten. Von Athletinnen, bei denen es genau anders herum. war. Er trainierte ganz Ehrgeizige, die nicht mit dem grossen Talent gesegnet. waren, aber es dank viel Fleiss und Aufwand doch weit brachten. Und er erzählt von grossen Talenten, die den erforderlichen Aufwand nicht auf sich nehmen wollten, um es ganz weit zu bringen. «die Athletin oder der Athlet investiert schlicht nicht genug, um es an die Spitze zu schaffen.» Doch es bringe nichts, jemanden zu seinem Glück zwingen zu wollen. Wenn jemandem etwas nicht passte, wenn jemand den nötigen Aufwand nicht betreiben wollte, dann war das immer in Ordnung für mich. Aber sie mussten es mir klar vermitteln und ehrlich zu mir sein.»

Denn seine Maxime, die galt schon vor 40 Jahren und auf die setzte er bis zum Schluss: «Talent alleine reicht nicht, um an die Spitze zu kommen.»> Das habe sich nicht geändert, doch was heute anders sei: Es brauche viel mehr, um an die Spitze zu kommen. Die Konkurrenz in der Schweiz sei enorm gewachsen. Um es wirklich zu schaffen, brauche es vor allem eines: Training. viel Training. «Die Leichtathletik ist ein sehr trainingsintensiver Sport. Mit 17 oder 18 Jahren brauchen ambitionierte Sportlerinnen oder Sportler heute mindestens fünf oder sechs Einheiten pro Woche.»

Ein enormer Zeitaufwand

Doch wenn jemand wirklich bereit war, alles in die Leichtathletik zu investieren, dann war es auch Josef Vogel. Hatte eine Athletin den entsprechenden Antrieb, dann war es für ihn kein Problem, täglich auf der Bahn zu stehen. Und daneben das Training erst zu planen und hinterher zu analysieren. Dabei sei vollkommen egal gewesen, welches Niveau diese Person mitbrachte: «Bei mir waren stets alle willkommen, unabhängig von ihren bisherigen Leistungen und ihrem Talent.» In jungen Jahren sei die Kräftigung der Hauptaspekt: «Muskeln müssen erst aufgebaut werden. Insbesondere in der heutigen Zeit, in der Kinder sich immer weniger bewegen und immer mehr rumsitzen.» Erfolgten die Kräftigung und der Muskelaufbau nicht korrekt, dann bestehe die Gefahr, in späteren Jahren stets mit muskulären Problemen zu kämpfen.

Seien die körperlichen Voraussetzungen geschaffen, dann folgen das gezielte Training und die Erarbeitung der Technik. Später dann, bei besonders ambitionierten Sportlerinnen und Sportlern, kommen noch Aspekte wie die Ernährung oder Mentaltraining dazu. Dies alles bedeutet extremen Aufwand, auch und insbesondere für den Trainer. Bei Trainings in technischen Disziplinen, wie Sprint, Werfen oder Hochsprung, müsse dieser immer anwesend sein. Bei längeren Läufen hingegen nicht. «Die Daten müssen danach trotzdem ausgewertet werden das dauert mindestens so lange wie der Lauf an sich.»

Das alles, und das ist Josef Vogel wichtig zu erwähnen, wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung seiner Frau. Viele freie Tage, Abende und Wochenenden seien für Trainings oder Wettkämpfe verplant gewesen. Oft habe sie alleine zu den Kindern schauen müssen. Die aufgeschobenen Ferien werden jetzt nachgeholt: Josef Vogel und seine Frau Margot sind viel mit dem Velo unterwegs, auf dem Gotthard oder gar bis nach Frankreich. Zudem kann der ehemalige Vermessungstechniker nun mehr Zeit mit seinen vier Grosskindern verbringen.

Stetige Weiterentwicklung

Doch der Leichtathletik komplett fernbleiben, das wird er nicht. Die Leidenschaft sei noch immer da. «Nur weil ich nicht mehr aktiv dabei bin, heisst es nicht, es interessiert mich nicht mehr.» So werde er weiterhin verfolgen, was in «seinem Verein, aber auch national in der Leichtathletik geschieht. In seinem Sport, den er jahrzehntelang verfolgt hat und dementsprechend einige Änderungen mitmachen musste. Seit seinen Anfangszeiten sei alles viel professioneller geworden. «Das fängt bei den Schuhen an und geht über die ganze Trainingslehre bis hin zu etlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen.» Als Trainer musste er all diesen Veränderungen gegenüber stets offen sein. Man muss mit diesen Entwicklungen Schritt halten, sonst ist man irgendwann auf verlorenem Posten. Das. ist aber auch das Schöne daran: Es gibt ständig Veränderungen und man kann sich immer weiterentwickeln.»

Trotz all seinen Erfolgen und seiner grossen Erfahrung will er auch nach Ende seiner Laufbahn im Hintergrund bleiben. Wenn ihr entscheidet, den. Zeitungsartikel doch nicht zu bringen, dann ist das für mich überhaupt kein Problem», sagt Josef Vogel zum Schluss des Gespräches. «Ich muss. nicht immer überall meinen Senf dazugeben.» So war das auch beim jährlichen Meeting in Willisau. Da habe er stets gesagt, er werde nach dem Anlass den Abfall zusammenräumen, aber an vorderster Front stehen wollte er nie. «Wenn der Trainer die wichtigste Person ist, kommt es nicht gut. Dieser muss schauen, dass die Athletinnen und Athleten ihre besten Leistungen abrufen können. Er ist eine Ansprechperson und hilft dabei, die Resultate zu erreichen, die jemand sich vorgenommen hat.»

Text: Fabienne Grüter, Willisauerbote